Organspende

Organspende - ich war dabei

Vorwort 

 

Das Thema Organspende ist eines der schwierigsten Themen, die es überhaupt gibt. Es ist emotional belastend und nicht einfach zu erzählen.

Hier schildere ich eine Organentnahme, die näheren Umstände, beteiligte Personen und auch Informationen zum Spender habe ich nur teilweise erwähnt.

Ausnahmsweise hab ich ein Inhaltsverzeichnis erstellt, eher ungewöhnlich für einen Blog, aber das ist das Thema ja auch.

 

Inhalt

 

  • Rechtliche Voraussetzungen
  • Hirntodprotokoll
  • Ablauf der Organentnahme
  • Gedanken zum Spender
  • Verdrängung funktioniert - auch bei mir
  • Abschied und die Organe gehen auf Reisen
  • Resümee

 

 

Die Voraussetzungen

 

Grundvoraussetzungen für eine Organentnahme ist das Transplantationsgesetz und das Vorhandensein eines Organspendeausweises oder der Zustimmung zur Organentnahme der nächsten Angehörigen.

Die Möglichkeit der Patientenverfügung, bzw. der Vorsorgevollmacht lasse ich jetzt mal außen vor.

 

Wichtig ist, dass Du weißt, dass ich hier keine Rechtsberatung und auch keine medizinische Beratung mache; ich bin weder Juristin noch Ärztin.

 

Organspende ist ein Thema das wohl keinen kalt lässt; auch mich nicht!

 

Dadurch dass ich viele Jahre im OP gearbeitet habe und wir dort auch eine Neurochirurgie hatten, bin ich häufiger in die Situation geraten mich mit dem Thema Tod, Sterben und demzufolge natürlich auch der Organspende auseinander zu setzen.

Das war manchmal sehr schwierig, da wir auch sehr junge Menschen mit schlimmsten Hirnverletzungen in den OP bekamen.

Oftmals konnten wir Ihnen buchstäblich das Leben retten, aber leider war das nicht in immer möglich.

Diese Patienten kamen nach der OP auf die Intensivstation und wurden dort mit allem was sie brauchten versorgt. Sie wurden intensiv überwacht, bekamen über die Infusionen genug Flüssigkeit, Nahrung und Medikamente verabreicht.

Hier wurde dann bei den Patienten, deren Hirnverletzungen so groß waren, dass ein Leben ohne die Maschinen nicht mehr möglich war und sofern ein Organspender-Ausweis vorlag, ein so genanntes Hirntodprotokoll durchgeführt.

 

Hierbei wird zur Feststellung des Hirntodes diverse Untersuchungen durchgeführt. Laut den Richtlinien muss ein nicht behebbarer Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms festgestellt und dokumentiert werden.

 

Das Protokoll muss von zwei Fachärzten mit mehrjähriger Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit akuten schweren Hirnschädigungen ausgefüllt werden.

Meist ist dann schon die „Deutsche Stiftung Organspende“ eingeschaltet, die diese Untersuchungen machen und auch Gespräche mit den Angehörigen führen.

Die Meldung geht an die zentrale Vergabestelle Eurotransplant für die Organe (sie hat ihren Sitz in Leiden, einer Stadt in den Niederlanden).

 

Dieses Protokoll folgt einem genauen Ablauf, und wird frühestens 12 Stunden nach Eintritt der Voraussetzungen (Hirntod) zum ersten Mal durchgeführt. Ein unter gewissen Umständen erforderliches zweites Hirntod-Protokoll erfolgt mindestens 72 Stunden später.

 

Situation während der OP
Während der OP

 

Im OP

 

Wir im OP bekommen Bescheid, dass heute eine Organentnahme ansteht. Es wird noch dauern, da das Entnahme- und Transport-Team noch unterwegs ist. 

Das gibt meinem Chef die Zeit, uns zu fragen, wer sich heute im Stande sieht, das Team zu unterstützen und bei der OP zur Verfügung zu stehen.

Wir sind ein langjährig eingespieltes Team und kennen uns sehr gut, so dass diejenigen, denen es momentan selbst nicht so gut geht, bei der Entscheidung außen vor bleiben können.

Ich melde mich freiwillig, habe keine Kinder und heute keine festen Termine, denn wer weiß, wann wir fertig sind und das Krankenhaus verlassen können.

Außerdem bin ich wieder an der Reihe, möchte meinem Chef und den Kolleg_en nicht zumuten, öfter als nötig, länger zu bleiben.

 

Die allgemeine Stimmung ist gedrückt, die kurzen, privaten Gespräche im Pausenraum sind betroffenem Schweigen gewichen. 

Wieder ein Mensch, der es nicht geschafft hat. 

Es fühlt sich ein bisschen nach Versagen an.

 

Dabei wollte ich nichts anderes, als Menschen helfen und Leben retten!

 

Die Patienten sollten schnellstmöglich wieder fit werden und auf die Beine kommen.

Meine Stimmung sinkt weiter, je länger der Tag voranschreitet.

 

Der Patient wird in den OP gebracht. Wir sprechen ihn mit Namen an und erklären alles, was wir mit ihm machen ... auch wenn bei ihm nichts ankommt. Das Verhalten ist einfach drin und auch hier ein Zeichen des Respekts.

Er wird in den OP-Saal gebracht, nur die dringend benötigten Personen bleiben, alle Anderen verlassen still den Saal.

Alles ist für die OP vorbereitet, die Instrumententische sind gedeckt, der Patient in Narkose.

Ärzte, Schwestern und Pfleger warten auf das Team, das die Organe mit entnimmt und dann sicher in Kühlboxen verstaut zu den Bestimmungsorten, meist Transplantationszentren, bringt, damit die Organe schnellstmöglich ihren neuen Empfängern eingepflanzt werden können. 

 

Wer ist der Spender, hat er Familie, Kinder?

 

Fragen über den Menschen, der da vor mir liegt, dringen mir ins Bewusstsein. Ich stelle sie nicht laut, da sie mir ja doch keiner beantworten kann oder will.

 

Ich schaue ihn an. Das Gesicht sieht friedlich aus.

 

Wie alt mag er wohl genau sein, leben seine Eltern noch, hat er womöglich Kinder? Wie mag es ihnen jetzt gerade gehen? Warten sie auf Station auf ihr Kind, Bruder, Schwester, Vater oder Mutter? 

Weiter mag ich es mir nicht vorstellen ... ich mag es, mir vorzustellen, dass die Familie bei aller Trauer auch ein Stück weit froh ist, dass durch die Transplantation zumindest Teile des geliebten Menschen in Anderen weiterleben.

Anderen die Chance auf ein Überleben zu geben.

 

Der Ablauf einer Organtransplantation

 

Das Transplantationsteam ist endlich da. Die Warterei hat ein Ende. Jetzt kommt wieder Bewegung in die Menschen, die Routinen im OP Ablauf gewinnen die Oberhand und sorgen dafür, dass meine Gedanken in geregelte Bahnen verlaufen.

Für einen Moment lässt meine immense Anspannung ein wenig nach.

Die OP läuft.

Das Piepen des EKG‘s täuscht ein Stückchen Normalität vor.

Doch es ist nicht normal. Die Organe, die wir herausnehmen, sind gesund. Und der Mensch, der hier liegt tot, die Organe haben nur überlebt, weil durch die Maschinen ihre Funktion aufrecht erhalten wurde. 

Schnell verdränge ich die Gedanken daran.

 

Meine Mutter hat immer gesagt, das ist zu belastend, immer ginge es bei mir um Leben und Tod. Verstehen konnte sie es nicht.

Manchmal verstehe ich es auch nicht, abgestumpft bin ich nicht, Verdrängung ist Selbstschutz.

 

Verdrängen als Bewältigungsstrategie funktioniert

 

Abschied - die Organe gehen auf Reisen

 

Die Organe werden sorgfältig verpackt in den bereit stehenden Kühlboxen verstaut und das Transplantationsteam verlässt mit einem Dank den OP- Saal. 

Die Maschinen sind ausgeschaltet, die Wunden des Körpers vernäht. 

Schweigend verrichte ich meine Arbeit, die Instrumente werden desinfiziert, die Einmal-Tücher in den Müllbehälter gesteckt.

Der Körper wird gewaschen, mit einem OP Hemd bekleidet und anschließend in das Patientenbett gelegt. Alle haben mitgeholfen. Bevor das Bett hinausgeschoben wird, stehen wir daneben, sprechen wir noch ein Gebet und danken dem Verstorbenen für seine Spende.

Eine Mischung aus Dankbarkeit, Trauer und Hoffnung durchströmt mich. 

Dankbar, dass dieser Mensch seine Organe gespendet hat.

Trauer, dass er gestorben ist und wir keine Macht haben, das zu verhindern.

Hoffnung, dass einige Menschen länger leben können.

 

Ohne die Hoffnung und den Sinn dareinzufahren sehen, dass zumindest EIN Leben verlängert oder gerettet wurde, hätte ich meinen Beruf als Krankenschwester nicht ausüben können. 

 

Resümee

 

Hier gebe ich meine Erfahrung und Erlebnisse während des Ablaufs der Organentnahme weiter - als Krankenschwester, Coach und Mensch.

Ob alle Beteiligten ähnliche Gedanken und Empfindungen hatten, kann ich nicht sagen und bei denen, von deren Gefühlen ich weiß, spreche ich nicht. Das kann und möchte ich nicht, es ist zu privat. 

 

Was hast Du jetzt davon? 

 

Ich wünsche mir, dass Du durch meine Erzählung ein Stück weit erfährst, dass der Organspender als Mensch gesehen und auch so behandelt wird. 

Ärzte und Pflegepersonal sind auch nur Menschen mit Gefühlen, die sie mal mehr oder weniger gut zeigen können oder wollen.

Und vielleicht hilft Dir meine Geschichte, Dich bewusst für oder gegen eine Organspende zu entscheiden.

Egal, wie Du Dich entscheidest, Deine Entscheidung ist richtig und gilt und macht es Deinen Angehörigen vielleicht leichter, im Falle eines Falles nicht an Deiner Stelle entscheiden zu müssen.

Möchtest Du persönlich mit mir sprechen, melde Dich.

 

Heute arbeite ich mit Menschen, die solche Erfahrungen gemacht haben, die auf der Suche nach dem Sinn sind und neue Ziele erreichen wollen. 

Von mir haben sie gelernt, besser mit schwierigen und belastenden Situationen umzugehen und wie sich besser abschirmen, ohne Themen und Ereignisse verdrängen zu müssen.

 

Gern kannst Du Deine Erfahrung und Meinung hier schildern. Das Kästchen bitte vor Absenden des Kommentars anklicken (Datenschutzerklärung).

 

Mein Blogsystem erlaubt leider keine direkte Antwort, deshalb antworte ich Dir in einem neuen Kommentar. 

 

Schau gern wieder vorbei, oder schreib mir eine E-Mail, dann antworte ich Dir persönlich.

 

Herzliche Grüße,

 

Angelika

 

 

 

Kommentare: 2
  • #2

    Angelika Hoyer (Mittwoch, 29 Januar 2020 13:38)

    Liebe Sabine,

    vielen Dank für Deine mutmachenden Worte!
    Ja, das Thema Organspende ist schwierig und der Ablauf der Organentnahme einfach unbekannt.
    Schön, dass ich Dir das Empfinden und die Sichtweise von Seiten der Beteiligten deutlich machen konnte und dass ich mir (und wir uns) immer bewusst war, dass dort ein Mensch vor uns lag.

    Persönlich finde ich es gut, dass Du Blut spendest, und im Falle eines Falles, auch der Organtransplantation zustimmst.
    Bei einer passenden Gelegenheit würde ich das Thema Organspende und dass Du spenden möchtest, im Familienkreis zumindest erwähnen.
    Damit sind dann Unklarheiten ausgeschlossen.

    Ich wünsche Dir , dass Du noch lange mit Deinen eigenen Organen weiterlebst und die Motorradfahrten geniessen kannst!

    Herzliche Grüße,
    Angelika

  • #1

    Sabine Weiss (Mittwoch, 29 Januar 2020 11:28)

    Liebe Angelika,

    so ein wichtiges Thema! Ich danke dir, dass du den Ablauf hinter einer Organspende so gut und einfühlend geschildert hast. Man denkt bei Organspenden immer nur an die Spender und Beschenkten, aber ich habe mir noch nie Gedanken über die Mitwirkenden gemacht. Ich hätte eigentlich gedacht, dass eine Organspende im Vergleich zu anderen (manchmal vergeblichen) Operationen "unbelastender" ist - sofern man das so sagen kann. Ich habe für mich schon oft überlegt und mir ist vollkommen klar - als Mutter und Motorradfahrerin - ich bin ganz klar für Organspende. Ich spende regelmäßig Blut und wenn ich nach meinem Tod noch etwas Gutes tun kann, dann auch gern Organe. Für mich steckt da ganz viel Sinn drin. Ich hoffe daher auch, dass es für meine Familie ok ist, wenn ich Organspende. Ganz schön fand ich übrigens deine Beschreibung des kurzen Innehaltens danach auch von Eurer Seite. Diese Wertschätzung fühlt sich schön an.
    Danke für den Artikel!